Sunyata

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Die Leere ist ein Begriff, der über das Mahayana hinausgeht und auch in vielen anderen spirituellen Systemen zu finden ist.

Buddhismus

Schon Buddha Gautama soll nach dem Samyutta Nikaya 35.85, die Leerheit aller Dinge erwähnt haben, womit aber eher die 'Kleine Leere im Bereich der Prakriti' gemeint war, und daneben im Majjhima Nikaya - 121 : Culasuññata Sutta, das von einer allerhöchsten zu verwirklichenden Leerheit spricht.
Die traditionelle Bedeutung der Leerheit kommt besonders in den Arupa - Jhanas des Anupada Sutta (Majjhima Nikaya 111) zu Ausdruck.

Der Leerheitsbegriff wurde im Mahayana von Nagarjuna weiterentwickelt, der ihn im Śūnyatāsaptati verteidigte und mit Buddhas Lehre in Einklang zu bringen versuchte. Nagarjuna vertrat die universelle Leerheit von innewohnenden Selbstnaturen (svabhāva-śūnyatā). Im Atiyoga wurde dann die Leerheitsmeditation besonders im Mahamudra und in den Dzogchen-Meditationen weiterentwickelt. Asanga hingegen verwarf Leere und Nirvana und zeigte auf einen Bereich darüber hinaus, entsprechend dem Parinirvana.

Die Leere ist aber aus anderer Sicht nicht gänzlich leer sondern schöpfungsfähig und von der höchsten Weisheit und der Buddha-Natur durchdrungen, und sie wird manchmal auch als der höchste Aspekt der Trikaya angeshen. Sie ähnelt damit dem Akasha-Element der Trimurti.

Mahayana

Die Lehre von der »Leerheit« (skt. shunyata; Chin. k'ung/'suunyaa) als die allen Dingen eigene Irrealität und als einzige Wirklichkeit steht im Zentrum der von Nagarjuna ausgearbeiteten Madhyamaka - Philosophie : Der Begriff 'Leerheit' besagt nicht, dass die Dinge nicht existieren, sondern dass sie nur in vollkommener Abhängigkeit in Kausalität existieren.[1]
Die Madhyamaka-Argumentation, dass jenseits des höchsten Samadhi nur Leere zu finden sei(Madhyama-Shunyata der Welt der absoluten Gleichheit), ist allerdings subjektiv und daher wenig beweiskräftig, und sie wurde auch vom kashmirischen Shivaismus kritisiert, der mehrere Stufen der Leerheit des absoluten Bewusstseins lehrt.

Das Yogacara versuchte die Leerheit hingegen positiver über Tathagatagharba, Soheit (tathata), Dasheit (tattva) und Dharmadhatu zu formulieren.

Im Astasāhasrikā-prajñapāramitā-sūtra wird der Raum (Akasha) zur zentralen Metapher für Sunyata.

Die tibetische Shentong (Wyl.gzhan stong, zhäntong oder zhentong, 'andere Leere', extrinsische Leere) sieht die Leere als Substrat oder Essenz hinter der Realität der Phenomäne, die inhärent vorhanden ist und 'leer von anderem' ist, leer von allen Qualitäten ausser ihrer inhärenten Existenz.

  • Opening the Wisdom Door of the Ranting and Shetong Views, Khenchen Palden Shetab Rinpoche and Khenpo Tsewang Dongyal Rinpoche, 2007

Chinesischer Shanron

Das chinesische Sanlun zong als Ableger des Madhyamika sah die Leere(Sunyata, K’ung) allerdings nicht nur als absolut (atyanta) an :[2]

  1. Leere im Sinne der Antithese des Seins
  2. Zustand des Seins ohne spezifischen Charakter (svabhava sunyata, svalaksana-abhava)
  3. Leere im höchsten Sinne oder transzendentale Leere, d. h. alle Gegensätze synthetisiert, {paramdrtha-sunyata)
  4. Absolute Leere (atyanta-sunyata)

Nirvana Sutra

Die Leerheit im höchsten Sinne ist im Mahaparinirvana Sutra die alle Gegensätze aufnehmende und vereinende Paramartha-Sunyata.

Mahaprajnaparamita Sastra

Das Maha Prajnaparamita Sastra beschreibt 18 Formen von Leerheit(shunyata, Pali sunnata)[3][4]

  1. Die äußerste vollkommene Leerheit - atyanta shunyata
  2. Die große Leerheit - maha shunyata
  3. Leerheit von allem Inneren - adhyatma shunyata
  4. Leerheit von allem Äußeren - bahirda shunyata
  5. Gleichzeitige Leerheit von allem Inneren und Äußeren - adhyatma bahirda shunyata
  6. Leerheit von Leerheit - shunyata shunyata
  7. Leerheit von Ablenkung - anavakara shunyata
  8. Leerheit von schlußendlicher Wahrheit - paramaha shunyata
  9. Leerheit von erzeugten Dingen - samskrita shunyata
  10. Leerheit von nicht erzeugten Dingen - asamskrita shunyata
  11. Leerheit von der Nicht-Existenz von Grenzen - anavaragra shunyata
  12. Leerheit von Wahrnehmung (Nicht-Wahrnehmung) - anupalambha shunyata
  13. Leerheit von Substanz - prakrita shunyata
  14. Leerheit von Dingen - sarvadharma shunyata
  15. Leerheit vom Selbst - svalakshana shunyata
  16. Leerheit vom Nichtsein - abhava shunyata
  17. Leerheit vom Wesen des Nichtseins - svabhava shunyata
  18. Gleichzeitige Leerheit vom Nichtsein und seinem Wesen - abhava svabhava shunyata
Tibetisches Mantra
  • oṃ svabhāvaśuddhāḥ sarvadharmāḥ svabhāvaśuddho 'ham : Das Große Leere Mantra bei Ritualen im Vajrayana
  • Eine Leere - Mantra - Version von Buddha Lian Sheng ist Om, si-ba-wa, su-da, sa-er-wa, da-er-ma, si-ba-wa, su-do-hang.
Leere - Mediation

Generell werden zwei Formen der Meditation über die Leere unterschieden:

  1. Die eine Form ist die raumbezogene Meditation über Leere, die durch die vollständige Abwesenheit oder Negation von inhärenter Existenz charakterisiert ist.
  2. Die andere wird illusionsgleiche Meditation über Leere genannt.

Die raumbezogene Meditation muss zuerst kommen, denn ohne die Verwirklichung der völligen Abwesenheit der innewohnenden Existenz wird die illusionsgleiche Wahrnehmung bzw. das Verstehen nicht stattfinden(Dalai Lama[5]).

Lama Anagarika Govinda äußerte dazu : Sunyata ist das Leersein von allen begrifflichen Bestimmungen, die Anerkennung einer höheren, unaussprechbaren, undefinierbaren Realität, die nur im Zustand völliger Erleuchtung erlebt werden kann.

Die im Theravada parktizierte Jhana-Meditation führt zum ähnlichen Nirodha Samāpatti oder saññā-vedayita-nirodha('Auslöschen des Gefühls und der Wahrnehmung') des Anāgāmī('Nicht-Wiederkehrer').

Emanation der Sunyata

Eine genauere Betrachtung des tantrischen Yamantaka als Vajra - Bhairava, der als direkte Emanation (Vajra-Nada) der Sunyata angesehen wird, legt nahe, daß diese große Leere dem statischen Akasha - Aspekt von Maheshvara - Shiva in den Trimurti entspricht, über denen nach der Bahvricha Upanishad noch höhere Kräfte existieren, angefangen mit dem Ishvara als Essenz.

Die Leere in anderen Systemen

Hinduismus

Schon das Nasadiya Sukta des Rigveda spricht von einem Nicht-Nichts als Usprung der Schöpfung.

Eine Leere im Tapa-Loka ist aus hinduistischer Sicht vom Omkara-Shabda des Ishvara durchdrungen, der Existenzgrundlage der Trimurti.

Die Varaha-Upanishade sagt in Kapitel 4.18 : Wie ein leerer Topf im Akasa(Raum) herrscht Leere sowohl innen als außen;

Was dem Schüler als Leere erscheint, wenn alle Impulse im Bewußtsein aufgehört haben, ist nicht wirklich Leere sondern Avyakta(unmanifestiert). Er muß aber auch durch die Leere hindurchgehen; (Swami Paramananda in Konzentration und Meditation[6]).

Shankaras Guru Gaudapada sprach von Turiya als atyanta-shunyata(absolute Leere). Letztere wird auch als der innere Shiva angesehen.

In der Devi Upanishad ist zu lesen Ich bin die Shoonya und jenseits der Shoonya.

Der Hinduismus kennt eine weitere mentale kleine Leere 'Sunyata' im Bereich des Anthakarana(Manas - Ahamkara - Buddhi) der Prakriti.[7] .

In Avalons 'Serpent Power' befindet sich ein Vers, der den Geist des Yogi als in der Großen Leere (Mahashunya) aufgelöst sieht.

Akasha

Daneben gibt es im Yoga etwas ähnliches mit dem Akasha, dem die Qualität des Raumes und des Tones zugeschrieben wird[8].

1. Chid Akasha (auch Chidakasha; Sanskrit: cidākāśa m.) oder 'Bewusstseins (Chit) - Raum (Akasha)' : Der im Bereich des Kopfes wahrgenommene Bewusstseinsraum.

2. Bhrumadhya Akasha(Sanskrit. bhrūmadhyākāśa) oder mahāśūnya : Der leere Raum im Augenbrauenzentrum(Ajna).

3. Vishuddhi Akasha (Sanskrit viśuddhyākāśa) : Der leere Raum (Akasha) im Kehlzentrum. In der Hatha Pradipika (Kap. 4.71) wird dafür das Synonym Atishunya verwendet.

4. Hrid Akasha (Sanskrit: hṛdākāśa) : Der leere Raum (Akasha) im Herzen (Hrid). In der Hatha Pradipika wird dafür das Synonym Shunya gebraucht (Kap. 4.71)

Taoismus

Im Taoismus besteht ein vergleichbarer Begriff Wújí[9], der wörtlich auch mit 'Kosmos' und mit 'Leerer Raum' übersetzt werden kann, und daneben auch Tàixū, die große Leere.

Der Adept, der sich wie im Liezi beschrieben in den unendlichem Raum versetzt, hat allerdings das Problem, das schon auf der Mentalebene im Bereich des kleinen Ying-Yang eine kosmische Leere des Akasha besteht, während die Leere des Mahayana erst nach langer spiritueller Entwicklung erreicht wird.

Radhasoami

Im Radhasoami existiert eine solche Leere Maha Sunna (Bhavsaagar, der schreckliche 'Tibar Khand')[10] auf ähnlich hohen Ebenen wie das Tapoloka, darüber gibt es dort aber weitere Ebenen.

Kabbala

In der Kabbala existiert eine vergleichbare Leere als 'Belima' (Was-los) zusammen mit 'Reschit'.[11][12] (s.a. Ayin und Yesh )

Griechenland

In der griechischen Mystik wie bei den Orphikern galt vielfach das Chaos(klaffender Raum, gähnende Leere) als Urzustand der Welt.
Allerdings werden die Aither als darüber befindlich angesehen.

Das Chaos wird auch als Gott angesehen, der den Raum zwischen Himmel und Erde erfüllt und die ersten Wesen Gaia, Tartaros, Uranos, Nyx und Erebos erschuf.

Bei Hesiod findet sich beispielsweise: Wahrlich, zuerst entstand das Chaos und später die Erde(Vers 116). Das Chaos besitzt in diesem Mythos Ähnlichkeit mit dem Nichts und der Leere. Die Frage ist allerdings, ob die lichten Aither aus Sicht der griechischen Eingeweihten jenseits des Logos mit seiner primordialen Zeit anzusiedeln sind.

Ägypten

Im alten Ägypten symbolisierten Niau und Niaut (die Verneinung, das Nichts) eine ähnliche Leere.

Germanen

Die mystische Leere Ginnungagap steht in der nordischen Mythologie für den leeren Raum am Anfang des Weltgeschehens. In der Urzeit vor der Schöpfung erstreckte Ginnungagap sich zwischen dem glühenden Muspellsheim im Süden und dem eisigen Niflheim im Norden.

Die Seherin Volva beschreibt das Ginnungagap im Völuspá 3: Urzeit war es, da Ymir hauste. Nicht war Sand noch See noch Salzwogen, nicht Erde unten, noch oben Himmel, Gähnung grundlos, doch Gras nirgend.

In Ginnungagap verschmolzen die eindringenden Eisströme (Elivagar) aus dem Norden mit der Glut aus Muspellsheim. Dabei entstanden der Riese Ymir und die Urkuh Audhumbla. Die drei Söhne von Börr – die Götter Odin, Vili und Vé – töteten Ymir, legten ihn in die Kluft Ginnungagap und formten aus seinen Bestandteilen die Welt.

Shivaismus

Im Shivaismus entsteht Leere[13] mit dem Erlöschen des Wissens. Sie kann auch mit dem statischen Aspket von Maheshvara-Shiva verglichen werden. Im Vira - Shivaismus wird Leere als wahre Einheit und Identität von Siva (Linga) und Seele (anga) gesehen.

In der Spanda - Lehre des kashmirischen Shivaismus wird zwischen 'nirmesa' (Verborgenheit der esssenziellen Natur) und 'unmesa' (Erscheinung der Welt als verschieden von Shiva) unterschieden[14].

Die Shiva Samhita erwähnt eine Leere-Kontemplation im Kapitel 6.6.47 mit dem Ziel des Chid Akasa und im Kapitel 6.10.161.

Der Madhyadhama (zentraler Kanal) wird im kashmirischen Shivaismus auch als sunya oder als sunyatisunya(absolute Leere) bezeichnet. Das Vijnanabhairava enthält den Ausdruck sunya u.a. in den Versen 39, 40, 45, 48 und 122 und lehrt dharanas darüber. Das im Vers 42 des Vijnanabhairava auftretetende Wort sunya wurde von Sivopadhyaya als unmana interpretiert. In Vers 61 wurde Madhya von Sivopadhyaya als sunya interpretiert. Das Shiva Sutra erwähnt die Leere ebenfalls.
Ksemaraja interpretierte sunya in seinem Kommentar zum Svacchanda Tantra VI,57, welches in Kapitel IV.288-290 sechs stufenweise Kontemplationen der Leere bis zum Paramashiva lehrt, als Maya und sunyatisunya als Mahamaya, das hier aber bis zum Paramshiva verläuft.
Die gebräuchlichste Auslegung ist die von Sivopadhyaya in seinem Kommentar zum Vers 127 des Vijnanabhairava : Das was frei ist von allen Trägern, ob extern Existierendem wie Glas oder Blumen oder internen Existenzen wie Freude, Schmerz oder Gedanken, das frei ist von allen Tattvas oder konstitutiven Prinzipien, von Restspuren von Kleshas, das ist sunya.


( Der Begriff einer letztendlichen Leere ohne Charakteristika beantwortet aber auch noch nicht die Fragestellung, warum eigentlich nicht gar nichts existiert - was doch 'normal' wäre...)

Heliumatom

Naturwissenschaft

Selbst aus der Sicht der modernen Naturwissenschaft sind alle Formen leer : Das Atom[15] besteht aus einem äußerst winzigen Atomkern mit einer Elektronenhülle, die die Größe und Form ausmacht. Der Rest des kugelförmigen Atoms ist leer und mit elektrischen und magnetischen Feldern und Gravitationsfeldern durchsetzt (und natürlich mit noch sehr viel kleineren kurzlebigen Kernteilchen als die Neutronen des Kerns).
Die heutige Quantenmechanik lehrt Atome und subatomare Teilchen ohne klassische Raum-Zeit-Bahn. Sie werden nach der probabilistischen Deutung von Max Born (1882–1970) durch eine Wellenfunktion Y mit statistischer Bedeutung beschrieben.
Das Elektron als negativer Pol wird heute mit einer Wahrscheinlichkeitsfunktion beschrieben. Es bewegt sich allerdings trotzdem noch auf bestimmten stabilen Energieniveaus um den Kern.
Ähnliche Wahrscheinlichkeitsfunktionen haben allgemein in der Physik Einzug gehalten.

Die hinduistische Sunyata - Leere im Bereich der Prakriti entspricht dieser materiellen Leere - allerdings auf etwas höherer Ebene. Allerdings ist die Maya - Mula-Prakriti im Bereich der Materie parallel allgegenwärtig, selbst wenn diese oft als unerklärliche Täuschung angesehen wird.

Literatur

Referenzen

  1. http://www.monumenta-serica.de/media/svd/docs/Dokumente-AT/ZSG/bilum/bilum-8/Zusatz/11_shunyata.pdf
  2. The Essential Of Buddhist Philosophy, Junjiro Takakusu 1947, S. 110
  3. Essais sur le bouddhisme zen, Séries I,II,III von Me Daisetz Teitaro Suzuki, ISBN : 9782226205018
  4. https://www.wisdomlib.org/buddhism/book/maha-prajnaparamita-sastra/d/doc226014.html
  5. Lighting the way, Dalai Lama ; Snow Lion 2005, ISBN-10: 1559392282 / ISBN-13: 978-1559392280
  6. http://www.holybooks.com/concentration-and-meditation/
  7. Sri Yuktesvar Giri: Die Heilige Wissenschaft. Barth, Weilheim 1949. (Neuausgabe: 2000, ISBN 0-87612-057-5)
  8. Chakras: Energy Centers of Transformation, Harish Johari, S. 125
  9. https://de.wikipedia.org/wiki/Wuji
  10. http://www.ruhanisatsangusa.org/pdf/ss76/ss197601.pdf Mahasunna auf S. 13
  11. -> 9 Belima
  12. Ernst Müller: Der Sohar und seine Lehre. Einleitung in die Gedankenwelt der Kabbalah. 1920.
  13. Leere im Shivasutra
  14. Spanda Karikas, Jaideva Singh, S. 22
  15. https://de.wikipedia.org/wiki/Atom Atom

Weblinks